Montag, 13. Juli 2009

Ja gut, nur Mut (Aufgabe 1)

Die meisten Menschen bevorzugen ein konventionelles Leben. Sie werden geboren, wachsen auf unter der Obhut liebevoller Eltern, entwickeln ihre Talente, wählen schließlich einen Beruf, machen Karriere, finden einen Partner, werden selbst zu liebevollen Eltern und geben dadurch dem Rad des Lebens neuen Schwung, bevor sie diese Welt für immer verlassen und (fast) nie mehr gesehen werden. Es entsteht ein endloser Strom stets so vorhersehbarer Leben, dass ein von seinen Mitmenschen allerdings als besonders kauzig angesehener Wissenschaftler mit dem Namen William W. Right einmal die Theorie aufstellte, das alles sei kein Leben, sondern die Simulation davon in einem Computer. Zum Beweis entwickelte er selbst ein Computerprogramm, das seine Theorie demonstrierte. Die Menschen fanden das Programm ziemlich putzig und amüsant, und verwendeten es zum Zeitvertreib und um Fernsehsendungen damit zu produzieren. Als aber William W. Right schließlich die These aufstellte, er selbst sei bloß die Simulation desjenigen, der die ganze Welt und alle Menschen darin erschaffen hatte, fand ihn seine Umgebung ziemlich anmaßend und zeigte sich schließlich erleichtert, als auch er, ohne Kinder zu hinterlassen, die Welt für immer verließ. Die örtliche Zeitung veröffentlichte einen hämischen Nachruf unter dem Titel "William W. Rong - Simulation terminated" und die Telefone im Ort, die sonst immer klingelten, wenn ein Mitbürger das Zeitliche segnete, blieben still.

Als Carmen nach Sunset Valley kam, war die Debatte um William W. Right schon lange Geschichte und selbst in der örtlichen Bibliothek fand man kaum noch Zeugnisse von ihr (nur noch den von Right verfassten Roman "Wo ist Bella?", den der Autor als historischen Roman bezeichnet hatte, was in den Augen der Menschen nur mehr seine Kauzigkeit bewies. Beschrieb der Roman doch das Schicksal einer aktuellen Jungbürgerin namens Bella Junggesell, war also ein Zukunftsroman). Carmen hätte seine Theorie auch nicht geglaubt, denn wenn sie etwas bisher nicht hatte - und auch nie haben wollte - dann war das ein vorhersagbares Leben. Im Gegenteil war ihre Vergangenheit so ungewiss wie ihre Zukunft, denn Carmen hatte eine Abneigung dagegen, Konsequenzen zu tragen. Und was bringt die Vergangenheit, wenn nicht Konsequenzen? Und so vergaß Carmen stets, was geschehen war, wenn sie in einen neuen Ort zog. Was sie häufig tat. Denn Carmen war eine Zigeunerin, und das mit Leidenschaft. "Neuer Ort, neues Leben", war ihre Devise und Menschen, die ihre Vergangenheit kannten, hatten Verständnis dafür. "Wer so lebt, vergisst auch lieber." Sie meinten das nicht so freundlich und mitfühlend, wie es klingt. Was wohl auch ein Grund dafür war, warum Carmen immer wieder weiterzog. Und nie kam, um zu bleiben.

Jetzt also Sunset Valley. Ein wirklich kleiner Ort, für den der Begriff "Stadt" einem objektiven Betrachter mindestens so anmaßend erschien, wie William W. Rights finale Thesen, Seine Bewohner sahen dies natürlich nicht so. Sein größter Vorzug war seine Lage an einer malerischen Bucht des "Grenzenlosen Ozeans", doch machten die Einwohner wenig daraus. Es gab eine Reihe hübscher, jedoch völlig unerschlossener Strände. Die Leute gingen dort nur zum Angeln hin. Oder zum Picknicken. Wenn es dunkel wurde, konnte man verträumt in die Sterne schauen oder auf den wunderschönen Leuchtturm in der Bucht. Der stand nur da, weil alle ihn so schön fanden, denn Schifffahrt wurde in Sunset Valley nicht betrieben. Einen Hafen gab es nicht und hatte es auch nie gegeben.

Die Struktur des Ortes war nicht historisch gewachsen. Soweit sich die Menschen von Sunset Valley erinnern konnten, war er schon immer um ein Stadtzentrum gebaut, daß von einem großen Park beherrscht wurde. Um diesen Park herum gruppierten sich die wichtigen öffentlichen Gebäude der Stadt, das Rathaus, die Bibliothek, die Schule, das Krankenhaus, das Polizeirevier, ein paar Geschäfte und Restaurants und ein Veranstaltungssaal, der abwechselnd Theater-, Film- und Konzertveranstaltungen bot. Die Tatsache, dass der Ort immer schon so gewesen sei, hatte William W. Right seinerzeit auf seine kruden Theorien gebracht: "Wenn niemand Straßen bauen kann, wo kommen die dann her? Wenn niemand neue Grundstücke erschließen kann, wer hat die dann erschaffen? Und warum zeigt die Rathausuhr immer zwölf Uhr an?" Man hätte schon damals erkennen können, dass es kein gutes Ende mit Right nehmen würde. Das mit der Rathausuhr hätte man gerne gerichtet. Aber nachdem man einst einen besonders unbeliebten Bürgermeister, der aber hartnäckig an seinem Sessel klebte, in seinem Amtszimmer eingemauert hatte, war der einzige Weg in den Dachstuhl des Rathauses versperrt und die Uhr unerreichbar. Außerdem spukte es dort nun. Das mit den Grundstücken und den Straßen störte hingegen niemanden. Schließlich waren Grundstücke im Überfluss vorhanden, und zu jedem führte eine Straße, was will man mehr? Wenn sich das mal ändern sollte, dann würde man halt neue bauen. Wie auch immer das ging. Denn erinnern daran, wie Straßen gebaut werden, konnte sich niemand mehr.

Rund um das Ortszentrum verteilten sich die Häuser der Einwohner, von ganz unterschiedlicher Größe und Qualität. Einen einheitlichen Baustil suchte man so vergebens wie günstige Wohnungen. Für Neubürger war es sehr schwierig, mit begrenzten Mitteln ein Heim zu finden, was zur Folge hatte, dass ungefähr ein Drittel der Häuser stets leer stand. Die Grundstückspreise waren einfach zu hoch. Um die leerstehenden Häuser vor dem Verfall zu bewahren, hatten es sich die Eingesessenen angewöhnt, regelmäßig um zu ziehen. Wer schon ein Haus besaß in Sunset Valley, der konnte sich leicht im Tausch dafür ein anderes leisten.

Carmen hingegen musste sich auf dem Markt der günstigen Wohnungen umsehen. Die mangels Alternativen zum großen Missvergnügen von Carmen nicht wirklich freie Wahl fiel auf eine spartanische Zwei-Zimmerwohnung mit Küche und Bad und Tapeten, die zu einer Zeit modern gewesen waren, an die sich Carmen selbst dann nicht hätte erinnern können, wenn Vergessen nicht zu ihrem Lebensstil gehören würde. Und eine Möblierung der neuen Bleibe erwies sich als sehr problematisch.


"Alles aus, unbekannte Lieferzeiten". Das war die Auskunft, die Carmen erhielt, wo immer sie auch nach Möbeln suchte. Unter Aufwand all ihres Charmes und etliche Schmeicheleien später hatte sie es geschafft, sich mit einer Reihe von Restposten, die noch aufzutreiben waren, das fürs Leben Notwendigste ins Haus zu holen, eine Minimalküche, ein Bett, und die unabdinglichen Sanitäreinrichtungen - im Haus selbst war davon nichts gewesen, der Vorbesitzer hatte alles mitgenommen ("Warum nicht auch die Tapeten?" dachte Carmen missvergnügt.) Das Sofa für das Wohnzimmer stammte vom Sperrmüll, und das Bücherregal wurde ohne Bücher geliefert - drin standen nur Attrappen. "Das ist dann doch bloß ein Regal!", dachte Carmen, und verwarf den Gedanken, den Lieferanten zu verklagen. Es gab ja einen Buchladen im Ort.

Die karge Wohung hatte allerdings auch einen Vorzug: sie lag neben einem kleinen, sehr beschaulichen Park. Er war wirklich hübsch hergerichtet und zu allem Überfluss wuchsen dort Obstbäume, die jedermann ernten durfte. "Warum bezahlen, was man umsonst kriegen kann?" Den Gedanken weitergesponnen, beschloss Carmen, auf dem eigenen Grundstück selbst Obst und Gemüse zu ziehen. Der Kühlschrank füllte sich erst nach Einwurf von Münzen, Geld war immer knapp, und einen Job hatte sie noch nicht. Dafür hatte Carmen Zeit. Bis jetzt jedenfalls.

Von Gartenarbeit hatte sie allerdings keine Ahnung. Es wirkte etwas skurril auf Carmen, dass ein Kurs in Gartenpflege im örtlichen Wissenschaftszentrum angeboten wurde. Auf dessen Versuchsgelände, so wurde gemunkelt, wuchsen ganz merkwürdige Pflanzen, die auch Eier, Käse, eigentlich so ziemlich alles produzierten, was man wollte. Auch der Preis für den Kurs war angesichts der knappen Mittel von Carmen, sagen wir, anspruchsvoll. Dafür gab's aber zum Abschluss ein paar Tütchen, die sehr zu Carmens Erleichterung nur ganz konventionelle Samen für Tomaten, Kopfsalat und Wein enthielten. "Salat ist ok, da brennt nichts an.", dachte Carmen.

Denn Kochen konnte sie auch nicht. Aus der Zeitung hatte sie erfahren, dass der Friedhof von Sunset Valley voll war von Leuten, die sich über ihre Kochfähigkeiten im Irrtum befanden hatten. Einige Herdbaureihen neigten dazu, rasch Feuer zu fangen, und Carmen war überzeugt, ihr Herd war einer davon. Es brauchte einiges an Erfahrung, um mit diesen Herden umzugehen. Ein Feuerwehrmann, den sie im zentralen Stadtpark traf, riet ihr dringend, einen Brandmelder über dem Herd zu installieren. "Wir sind dann schneller da.", versprach er. So wurde also auch ein Brandmelder über dem Herd installiert. Einer zuwenig für die Wohnung, wie sich zeigen sollte....

Die Investition in die Ausbildung zur Gärtnerin hatten Carmens karge Mittel ziemlich verbraucht, aber nicht nur deswegen nahm sie eine Anstellung als Küchenmädchen im örtlichen Bistro an. Nicht, dass der Job jetzt unbedingt ihren Fähigkeiten und Talenten entsprach - wie auch, sie hatte ja nichts von alledem. Nein, sein größter Vorzug war, dass er sie regelmäßig zu Dienstschluss gleich an dem Ort sein ließ, den sie um diese Zeit ohnehin aufsuchen würde: eine Bar.

Eine elegante Bar, die auf Abendgarderobe bestand, und entsprechend - so hoffte Carmen - nur von Leuten mit Esprit und Stil besucht wurde. Genau die Art von Menschen, deren Gesellschaft Carmen liebte, und die die Gesellschaft von Carmen liebten - zunächst jedenfalls.

Es war gleich der erste Abend im neuen Job, als im Bistro Connor Frio auftauchte. Carmen fiel er sofort auf, weil er etwas verloren wirkte und ohne Begleitung war. Das erste fand sie irgendwie süß, und das zweite bedauernswert. Hier war kein Ort zum Allein-Sein.




Connor erwies sich als freundlich, aber etwas zurückhaltender, als Carmen dies gewohnt war. Er arbeitete als freiberuflicher Journalist für die örtliche Tageszeitung. Doch eigentlich wollte er Romane schreiben. Für Literatur war er leicht zu begeistern. Carmen war zwar nicht belesen, aber erfahrene Besucherin von Cocktailparties und schaffte es daher, mit ihrem aus Buchdeckeln gewonnenen und mit Schmeichelei versetzten Wissen sein Interesse zu wecken. Man tauschte Telefonnummern aus. Carmen war entschlossen, diese zu nutzen.

Doch zunächst lief der Alltag weiter. Es stellte sich heraus, dass die erworbene Toilette alles andere als fabrikneu war.





Eigentlich verstopfte sie immer.

Am zweiten Abend brannte es in Carmens Wohnung. Nein, es war nicht der Herd! Carmen hatte den Kamin angezündet, und dann - vergessen. Die Feuerwehr kam spät (kein Brandmelder über dem Kamin), aber konnte den Brand löschen, doch ein paar Türen waren so angesengt, dass sie erneuert werden mussten. Carmen bekam von alledem zunächst nichts mit, weil sie auf der Arbeit war.









Bei der Heimkehr traf sie auf aufgeregte Nachbarn, die Familie Bunch. Die Familie erwies sich als ebenso derangiert, wie das von Brandspuren gezeichnete Haus. Der Filius hatte seine Hausaufgaben noch nicht gemacht, die Tochter war völlig erschöpft, die Mutter allerdings erfreute sich am Übeltäter, dem Kamin - will sie, dass es nochmal brennt? Halbwegs umgänglich war nur der Vater. Es kostete Carmen einige Mühe, das Volk wieder aus der Wohnung zu bekommen.

Es hätte der Erschöpfung von Carmen nicht bedurft, um sie vergessen zu lassen, den von Mutter Bunch wieder angezündeten Kamin vor dem Schlafengehen zu löschen. Es kam, wie es kommen musste: in der Nacht brach abermals Feuer aus. Carmen beging einen schweren Fehler: weil die Feuerwehr scheinbar ewig nicht eintreffen wollte, versuchte sie selbst, das Feuer zu löschen. Um Haaresbreite wäre das schiefgegangen. Am nächsten Morgen wurden die Brandspuren beseitigt und das Bücherregal erneuert.









Verblüffenderweise hatten die Bücher darin den Brand überlebt!

Dann kam ein Anruf. Connor Frio meldete sich.









Sein Interesse schien allerdings rein beruflich zu sein, denn tatsächlich rief er der Brände wegen an. War er tatsächlich so schwer zu erwärmen?

Zweites Küchenmädchen neben Carmen im Bistro war Sue Scotch. Sie fand bei Carmen sehr viel Verständnis für ihre Probleme. Sie hatte es bisher nicht vermocht, in Sunset Valley eine Bleibe zu finden, denn sie hatte erhebliche Schulden. Selbst die günstigsten Häuser blieben für sie unerschwinglich. Also fuhr sie jeden Tag von auswärts zur Arbeit. "Frag mich nicht, wie es da ist. Du willst es nicht wissen.", meinte Sue. Was stimmte. Carmen wollte das wirklich nicht wissen. Was woanders war, interessierte sie so wenig, wie, was vergangen war. Sue war ihr aber sympathisch, denn Carmen und sie verband das gleiche unstetige, bindungsscheue Wesen. Auch Sue machte ihren Job nur, um ihre Rechnungen zu bezahlen. "Das ist nur vorübergehend. Ich will Romane schreiben!" Wie Connor! Sue hatte auch eine Neigung dazu, alles auszuprobieren. Wie sich herausstellen sollte, konnte sie deswegen leider nichts wirklich gut.

Carmen bot ihr an, bei sich einzuziehen. "Natürlich nur, bis wieder Möbel geliefert werden, und Du deine Schulden los bist. Du kannst auf dem Sofa schlafen." Das sollte sich als frommer Wunsch erweisen. Gleich in der ersten Nacht ging das Bett an Sue, und Carmen musste mit dem Sofa vorlieb nehmen. "Bitte verzeih, aber ich schlafe sonst so schlecht." In der Tat kam Sue häufig so unausgeschlafen auf die Arbeit, dass sie bereits herausgefunden hatte, wo man im Bistro während der Arbeit schlafen konnte, ohne dass der Chef das merkt. Vorausgesetzt, sie schaffte es, ihn bei Arbeitsantritt mit strahlend guter Laune davon zu überzeugen, dass sie voll fit sei.









Nach dem Erwachen staunte Carmen nicht schlecht: Sue las ein Buch über Schwangerschaften! "Wieviele Mitbewohner habe ich jetzt eigentlich?"









Doch Sue beruhigte sie. "Das ist bloß Neugier. Eigentlich mag ich keine Kinder."

Nun teilte man sich also Wohnung, Fahrgemeinschaft und den Job.









Der aber beiden nicht wirklich schmeckte.

Sue nahm allerdings nicht nur das Bett in Beschlag. Sie machte sich auch nützlich. Das niemals normal abspülende Klo war bei ihr in guter Obhut und auch die Dusche konnte sie erfolgreich reparieren. Es fehlte ihr wie Carmen zwar an jeglicher Begabung, aber sie schreckte vor nichts zurück.









Leider auch nicht vor dem Kochen. "Jetzt arbeite ich in der Küche, da werden ich das wohl können." Dass der Satz eher umgekehrt Sinn macht, zeigte sich rasch, und verschaffte den beiden "Küchenmädchen" den nächsten Besuch von der Feuerwehr.









Diesmal war der Feuerwahrmann ziemlich genervt. "Jetzt bin ich schon das dritte Mal hier. Ein viertes Mal komme ich nicht." Carmens Charme erlag er dann aber rasch. "Also gut, noch einmal. Und wenn ihr das nächste Mal brennt, lösche ich trotzdem nur die Möbel." Sue erhielt Kochverbot in Carmens Küche. "Nur noch Herbstsalat!"

Am nächsten Tag schmiss Sue den Job: "Weisst du, dass man bei der Polizei sofort das Doppelte verdient?" "Als was?" "Als Spitzel.". Sue wurde Spitzel. Die Zigeunerin in Carmen war zunächst nicht wirklich glücklich darüber, aber durch die unterschiedlichen Arbeitszeiten war das Bett nun immer frei für den, der es braucht. Carmen hingegen hatte kein Bedürfnis auf einen neuen Job. Sie hatte sich schon bis zur Vorkosterin hochgearbeitet, Arbeitsort und Arbeitszeiten passten gut. Und schliesslich hatte sie der Ehrgeiz gepackt - des Geldes wegen.









So umgänglich Sue normalerweise erschien, gelegentlich konnte sie ein echtes Trampeltier sein. Carmen hatte sich mit Connor im Park verabredet, war aber von ihm versetzt worden. Traurig kehrte sie nach Haus zurück. Doch dort erwartete sie Sue mit beissendem Spott: "Dieser Schreiberling interessiert sich für dich nur, wenn es hier brennt." "Glaub bloß nicht, dass Du deswegen hier wieder kochen darfst!", fauchte Carmen zurück. "Das klappt wohl doch nicht mit uns.", dachten nun beide. Für den Rest des Abends ging man sich lieber aus dem Weg.

Überhaupt, Connor! Ja, in der Tat, er hatte Carmen versetzt. Doch so schnell gab sie nicht auf. Sue würde schon sehen! Gleich nach der Arbeit rief sie ihn an. "Ich bin im Bistro. Kannst Du kommen?" "Ja, sehr gerne", meinte er, aber hatte er das nicht auch schon das letzte Mal gesagt?









Leicht banges Warten - doch diesmal kam er. Als er von dem abermaligen Brand hörte, zeigte er sich voller Mitgefühl.

Nachdem Sue den Küchenjob geschmissen hatte und Spitzel geworden war, hatte sie, anders als Carmen, am Wochenende frei. Sie beschloss, ihren ersten Roman zu schreiben. Nachdem ein paar Kapitel von "Bett oder Sofa?" geschrieben waren, gab der Computer in der Bibliothek des Ortes den Geist auf. "So haben wir nicht gewettet, ich war gerade so schön in Schwung", dachte Sue und machte sich - mit einem Schraubenzieher bewaffnet - daran, den Rechner zu reparieren. Nun wusste sie von Computern gerade mal, wo bei denen vorne ist. Die Erfahrung, die sie machte, war elektrisierend. Frustriert und leicht angeschmort gab sie auf. War da nicht noch ein Rechner? Da war einer, und Sue machte sich unverdrossen wieder ans Werk.









Den Roman bekam sie fertig. Doch er wurde ein Flop.

Der Verlag schrieb ihr: "Verehrte Frau Scotch, leider bleiben die Verkaufszahlen ihres Buches deutlich hinter den Erwartungen zurück. All unsere Bemühungen, den Roman in einem für die Kunden akzeptablen Zustand zu produzieren, waren aufgrund des von Ihnen zur Verfügung gestellten Materials vergebens. Die Leser erleiden Stromschläge, wenn sie Ihr Werk in die Hand nehmen. Darüber hinaus riecht es nach verbranntem Papier. Wir haben daher beschlossen, die Restauflage als Batterien für Mobiltelefone zu vermarkten. Hochachtungsvoll..." etc. pp.

Die Tage vergingen, und es geschah nicht viel. Auf den Wohnungsmarkt war Bewegung gekommen, denn die Zeitung enthielt eine fast nicht enden wollende Kette von Umzugsmeldungen.









Die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein. Für die Lektüre der Zeitung brauchte Carmen Stunden.

Schliesslich kamen Carmens freie Tage. Und Connor hatte sich bisher nicht wieder gemeldet. Sue nervte: "Es hat ja auch nicht gebrannt. Soll ich was kochen?" Carmen griff hastig zum Telefon. "Hi, Connor, was treibst Du?" "Ich bin auf dem Weg zum Imbiss, einen Informanten treffen. Ich habe leider keine Zeit."









Aber Carmen hatte Zeit. Und litt - an gekränkter Eitelkeit. "So, Connor geht zum Imbiss. Das tue ich auch". Und tatsächlich schaffte sie es, Connor am Imbiss abzufangen.









"Lass Deinen Informanten sausen. Meine Nachricht ist wichtiger." Da verstand er endlich. "Aber für meine Zeitung ist das wohl nichts, nicht wahr?" "Wie man's nimmt: Wilde Ehe mit wilder Zigeunerin, bringt ihr so was?" "Leider nicht, wir bringen nur Hochzeiten." Carmen wechselte rasch das Thema. "Zeig mir, wo du wohnst."

Connors Haus war beeindruckend, wenn auch nicht eins der größten am Ort. Die Einrichtung war geschmackvoll. Das Haus hatte ein riesiges Wohnzimmer ("Was für eine Verschwendung an Platz", dachte Carmen) und - eine Stereoanlage. Musik! Carmens Zigeunerherz, von frischer Liebe beschwingt, wollte tanzen.









Carmen bemerkte nicht, dass Connor sich völlig übermüdet zurückzog. Stattdessen taucht jemand anderes auf. Es war Jared, Connors Bruder und Mitbewohner. "Connor schläft. Du musst jetzt gehen", sagte er nicht sehr freundlich. Sollte dieser wunderbare Abend mit einem Rausschmiss enden?

Doch Jared erwies sich als unerbittlich. Als Carmen, schon vor der Tür, noch einmal ans Fenster klopfte, kam er, jetzt schon ziemlich sauer, heraus gelaufen. "Geh jetzt!" Als ob man einer Zigeunerin so kommen könnte. Carmen konterte mit entwaffnendem Charme. "Du willst doch nicht wirklich, dass ich gehe, oder?", meinte sie kokett.

Jared wurde etwas ruhiger. "Lass Connor schlafen, der hatte einen harten Tag." In der Hoffnung, wieder ins Haus gelassen zu werden, schmeichelte und plauderte Carmen weiter. Es gelang ihr allerdings nur, Jared davon abzuhalten, sie einfach stehen zu lassen. Carmen und Jared unterhielten sich bis zum Morgengrauen. Es stellte sich heraus, dass Jared ein begabter Koch war - da nutzte Carmen die Gelegenheit, ein paar Kochtipps abzuholen. Doch erst als der Morgen kam, wagte Carmen wieder, ins Haus zu gehen. Diesmal hatte Jared nichts dagegen.









Connor war auch schon erwacht. "Tut mir leid, dass ich gestern so schnell verschwunden bin. Ich war todmüde.", druckste er herum. "Das macht nichts.", log Carmen. Davon, dass sie die Nacht mit Jared vor dem Haus verbracht hatte, erzählte sie nichts. "Ich muss dann jetzt auch los, wir sehen uns nach der Arbeit." Weg war er. Und Carmen brauchte dringend ein Bad. Doch das in Connors Haus zu nutzen, erwies sich als schlechte Idee. Jared trampelte, kaum das Carmen sich im Wasser niedergelassen hatte, ins Bad: "Von Einnisten hier war nicht die Rede." Hemmungen hatte er offenbar keine. Ziemlich verstört und gedemütigt räumte Carmen das Feld. Was war mit diesem Kerl bloß los? Er wirkte recht jähzornig.

Am folgenden Abend ging Carmen wieder zu Connors Haus. Connor war nicht da, nur Jared und eine Bekannte. Carmen beschloss, auf Connor zu warten. Hoffentlich tauchte der rechtzeitig auf, bevor Jared wieder die Gouvernante spielen würde. Carmen war immer noch gekränkt von dem Vorfall am Morgen im Bad und sagte Jared das auch. Er reagierte verlegen.

Connor kam rechtzeitig. Jared war schon unruhig geworden, und Carmen schon ziemlich müde.









Carmen becircte Connor unter den argwöhnischen Blicken von Jared: "Kann ich bei Dir übernachten?" Sie konnte. Jared war konsterniert. "Ja, ich hab Dein Bett, Jared!", dachte Carmen triumphierend. Als Connor schon schlief, giftete Carmen Jared an: "Du wirst mich hier nicht noch einmal rauswerfen! Und wenn ich jetzt ins Bad gehe, bleibst Du draussen!"

Oh, ein Bad. Kein Vergleich mit der Dusche daheim. Und ein Bett, viel bequemer, und was es besonders attraktiv machte: es war Jareds Bett und Jared war nicht drin!









Was immer Jared auch diese Nacht treiben würde, Carmen war es egal.

Am nächsten Morgen waren alle Bewohner und Gäste des Hauses Frio ausnehmend guter Laune, selbst Jared. Carmen hatte keine Ahnung, wo Jared sich seinen Schlaf geholt hatte, sie wollte es auch nicht wissen. Sie wollte etwas anderes und flüsterte dies Connor ins Ohr.









Als sie danach aus dem Bad kam, fand sie Connor lesend auf dem zerwühlten Bett. Schon wieder dieses Schwangerschaftsbuch! "Nein, Connor, keine Chance.", dachte Carmen und beeilte sich, in die Küche zu kommen.

Im Esszimmer tanzte Jared immer noch. Doch als Carmen sich am Esstisch niederließ, schaltete er die Anlage ab und verließ wortlos den Raum. "Was für ein Stoffel", dachte Carmen. Die Arbeit rief, denn anders als Connor hatte Carmen samstags nicht frei. "Bis heute abend", rief sie noch zum Abschied.









Hoffentlich hatte auch Jared das gehört!

Am Abend war wieder Besuch im Hause Frio. Da Connor als Gastgeber beschäftigt war, versuchte Carmen, ihr Verhältnis zu Jared zu verbessern. Sie würde ihn ja jetzt schließlich häufiger treffen.Doch kaum hatte Connor den Raum verlassen. fuhr Jared Carmen an: "Lass die Finger von meinem Bruder. Du bist nicht gut für ihn!"









Das würde wohl nichts mehr werden mit Jared. "Dabei ist er eigentlich ganz nett, wenn er nicht gerade Rabatz macht", dachte Carmen. Ist er eifersüchtig? Der Gedanke war amüsant und irgendwie anregend. Wie energisch er sich für seinen Bruder einsetzte, imponierte ihr.

Carmen übernachtete abermals bei den Frios und schlief lang bis in den späten Sonntagmorgen. So entging es ihr, dass Jared Connor im Esszimmer eine Szene machte.









"Sie macht sich hier breit. Und sie hat mein Bett!". Connor war die Ausbrüche seines Bruders gewohnt, und ohnehin schwer zu erschüttern. So gelang es ihm, Jared zu beruhigen. Carmen erfuhr davon erst später am Tag.

Connor fiel es nicht leicht, ihr davon zu erzählen. Als Carmen das Bad betrat, ging er erstmal auf Tauchstation, doch dann rang er sich durch.









"Jared ist hier zu Hause. Wir müssen Rücksicht nehmen. Vielleicht ist es am besten, wenn wir zwei zusammenziehen." Der Gedanke gefiel Carmen allerdings gar nicht. Doch sie schwieg.

Und Sue? Nachdem Carmen nun schon drei Tage und Nächte praktisch nicht mehr daheim gewesen war, erbarmte sie sich des verwahrlosten Gemüsebeetes. Es war allerhöchste Zeit. Wo Carmen bloß steckte?

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